The Mojito Diary – Joya Celebracion

Zigarre im Aschenbecher und Cocktail im Hintergrund

So mancher Abend endet anders als gedacht. Entweder in endlosen Debatten über Gott und die Welt, oder auf dem Sofa eines guten Freundes und manchmal in den Armen einer wunderschönen Frau. Doch alle heiligen Zeiten endet ein Abend gar nicht, sondern wird zu einer Nacht, die nur in einem verkaterten Morgen ihr Ende findet.

Die Abendzeit ist für mich eine gute Zeit um zu rauchen, wenn die Welt zur Ruhe kommt und ich allmählich wieder zu mir finde. An diesem Abend ist etwas anders. Auch wenn ich es noch nicht genau definieren kann, ich kann es spüren. Ich entscheide mich für einen Klassiker der Cocktailkunst, einer der simplen Mixturen, die sich über die Jahre etabliert haben, einen Mojito.

Die wesentlichen Zutaten sind allgemein bekannt: Rum, Limettensaft, Limettenstücke, Minze, Rohrzucker und Sodawasser. Für mich hat es etwas beruhigendes die Minze mit den Limettenstücken und dem Rohrzucker zu zerstoßen, bevor ich das „Cracked Ice“ (gröber als Crashed Ice) dazu gebe. Ich gebe den weißen Rum immer erst danach ins Glas. Zuletzt folgt das Sodawasser. Die Zitrusnoten passen nicht immer gut zur Zigarre, beziehungsweise muss man die Zigarre passend selektieren.

Es wird nicht bei einem Drink bleiben

Das erste Glas ist schneller leer als sonst. Ein zweites schnell angerichtet. Ich nehme meinen Drink und stehe vor meinen Bücherregalen auf der Suche nach passender Lektüre. Was soll es sein? Ernest Hemingway, José Saramago, Paul Auster, Walter Moers? Nein, denn nun, da ich von meinen Büchern umgeben bin, erahne ich die Stimmung, die in mir aufkeimt, der sommerliche Wahnsinn, der durch die Ritzen meines Bewusstseins drängt. Ich greife zu Angst und Schrecken in Las Vegas (Fear and Loathing in Las Vegas), von Hunter S. Thompson. Ich mochte diese extreme Form der Berichterstattung schon immer und jetzt ist es genau dieses schrill-komische, das der Welt den Spiegel vor die Nase hält, damit man das eigene, entstellte Antlitz wieder wahrnimmt.

„…Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbögen extrastarkes Acid, einen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Upper, Downer, Heuler, Lacher … sowie einen Liter Tequila, eine Flasche Rum, eine Kiste Bier, einen halben Liter unverdünnten Ether und zwei Dutzend Poppers. Den ganzen Kram hatten wir in der Nacht zuvor zusammengerafft, auf einer wilden Höllenfahrt durch den gesamten Los-Angeles-Bezirk; von Topanga bis Watts griffen wir uns alles, dessen wir habhaft werden konnten….“

Eine Aufzählung die mir den Magen umdreht. Ich lege das Buch wieder zur Seite. Dritter Mojito. Wieder zum Bücherregal. Hemingway, Der alte Mann und das Meer.

„Es war ein alter Mann, der alleine in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte, und er war jetzt vierundachtzig Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen.“

Der erste Satz, der bereits so vor Einsamkeit trieft, dass dies wohl kaum die passende Lektüre für diese Nacht sein kann. Ich stelle das Buch zurück ins Regal. Ergreife das nächste. Stelle es wieder zurück.

Der rettende Griff zum Humidor

Der vierte Mojito. Ich erinnere mich daran, dass in einem meiner Humidore noch vereinsamt eine einzelne Zigarre liegt und darauf wartet den Flammen übergeben zu werden. Vereinsamt und isoliert im tropischen Klima. Ich befreie den Humidor von der Befeuchtung und stelle Ihn für die kommende Reinigung beiseite.

In meinen Händen halte ich die „vergessene Lady“: Joya de Nicaragua – Celebracion

So betrunken kann ich gar nicht sein, dass ich mich nicht an das Criollo-Seed-Deckblatt erinnere. So viel ich weiß, wird diese Zigarre nicht mehr nach Deutschland importiert. Sorry, liebe Nachbarn.

Ich setze mich in meinen Rauchersessel, nehme den „Flammenwerfer“ und meinen Cutter und mit üblicher Routine wird die Dame enthauptet und ihr Körper den Flammen übergeben. Eigentlich ein grausamer Akt.

Da ist es. Dieses typische Aroma, das ich so sehr mag. Diese sanfte Würze und die Schärfe die nie störend ist. Für mich der Inbegriff des Juwels aus Nicaragua. Auf der Banderole steht in kleinen Lettern Puro. Alles nur aus Nicaragua. Während ich die ersten Züge genieße, denke ich wieder einmal daran, dass ich unbedingt dieses Land besuchen muss, das so großartige Zigarren hervorbringt.

Während sich mein kleiner Rauchsalon beginnt um die eigene Achse zu drehen, halte ich mich an der Zigarre fest. Sie wird zum Anker in einer Welt die taumelt, wie ein Fischerboot auf rauer See.

Zigarre in Aschenbecher vor Mojito

Joya Celebracion mit dem „Unheilsbringer“ im Hintergrund

Ich schließe die Augen, konzentriere mich auf den Geschmack. Ich atme durch die Nase aus und mit einem Mal ist es, als ob die Welt wieder zum Stillstand kommt. Ein Hauch von Cremigkeit, der erstaunlich gut zu den Zitrusnoten meines „Rauschbringers“ passt.

Das erste Drittel ist geraucht. Ich führe meinem Körper das dringend benötigte Wasser zu. Zug um Zug kehre ich in die Realität zurück.

Am Gaumen kitzeln mich Früchte wie Brombeere und eine deutliche Holznote gesellt sich zur allgemeinen Würze. Wie immer ist es das zweite Drittel, das mich begeistert. Ich versuche mich an den Preis zu erinnern, den diese Zigarre hat, beziehungsweise hatte. Irgendetwas bei fünf Euro.

Das letzte Drittel bietet nochmal ein grandioses Finale. Die Zigarre offenbart Ihre Kraft und beschließt den Genuss auf fulminante Art und Weise. Im Aschenbercher bleibt außer weißer Asche nicht viel zurück. Die schlichte Banderole steht für Understatement und mutet elegant an.

Es ist vier Uhr morgens. Die Flasche Rum ist gerade noch halbvoll, die Limetten zur Neige gegangen. Ich habe wohl ein Glas zerbrochen und Hunter Thompsons Werk liegt aufgeschlagen auf dem Boden. Die letzten Seiten.

„… Ich war nur ein weiterer Freak, im Freak-Königreich….“

Ehrlich gesagt, trifft es das ziemlich genau.

Zigarrenstummel im Aschenbecher

Das Ende der Lebensretterin

 

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