Waldbrand zum Mitnehmen – Vorsicht Klartext

Zigarrenschachtel auf Notizbuch

Manchmal entwickelt sich das Leben um mich zur Realsatire. Ich bin hin und wieder überfordert und frage mich, wie ich damit umgehen soll. Ich unterliege – wie die meisten Menschen, denke ich – oft riesigen Irrtümern, die meistens mit Sätzen eingeleitet werden wie: „Das kann’s doch nicht sein, oder?“, „Die werden doch nicht…“, oder dem Klassiker „Die können doch nicht einfach….“

Ich bin seit ein paar Wochen auf Instagram unterwegs und somit bekomme ich einen weiteren Einblick in die Welt der Zigarre, auf internationaler Ebene. Ich freue mich über Fotos von bärtigen Männern, die vor einer Lodge in Alaska mit einer Dose Craft-Bier in der Hand ihre Zigarren genießen, genauso, wie über Bilder von Zigarrenrunden aus der dominikanischen Republik, oder aus London. Es ist schön, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, jedoch bleibt mir manchmal nichts anderes übrig, als den Kopf zu schütteln. Etwas, dass ich vermeiden muss, ist mir Review-Videos auf Instagram, oder Youtube anzusehen. Es gibt da einige Reviews, die wirklich gut sind, dann gibt es welche die gut wären, wären sie gut gemacht und dann gibt es die schlimmsten Reviews von allen: Die Reviews aus dem La-La-Land!

Die Welt der Fantasie

Ich sitze vor dem Laptop. Es gibt wieder einiges zu recherchieren, denn ich habe eine Liste von neuen Zigarren erhalten und muss mir einen Releasekalender erstellen, wie jedes Jahr aufs Neue. Ich zünde mir eine Half Corona an und legen somit eine kleine Pause ein. Ich lande bei Youtube. Im Video sitzt ein gut gestylter, junger Mann in einem Ledersessel und hält eine Zigarre in der Hand. Er greift zu seinem Cutter. Es ist ein V-Cut. Etwas zu tief für meinen Geschmack, aber was soll’s. Was jetzt folgt ist das Anzünden, jedoch auf so drastische Weise, dass ich ein paar Minuten fassungslos vor dem Laptop sitze, mit offenem Mund, vollkommen versteinert.

Ich komme wieder zu mir, als der junge Mann den exquisiten Geschmack der Zigarre lobt. Holznoten, Leder, etwas Kaffee, Marzipan und scheinbar duftet das alles herrlich nach Kakao. Ich kenne die Zigarre die geraucht wird. Eine Kubanerin, jedoch besteht nicht der Hauch einer Chance, dass der Herr im Bild irgendetwas davon auch nur ansatzweise schmeckt. Warum? Ganz einfach: Nach dem Cut, griff er zu einem Jet-Flame Tischfeuerzeug, dessen Flamme so groß ist, dass man damit wohl Tresore aufschneiden könnte. Er dreht ein paar Runden damit über das Brandende. Die Zigarre fängt zu diesem Zeitpunkt Feuer und ich meine „SIE FÄNGT FEUER“!! Die Zigarre brennt mit einer zehn Zentimeter hohen Flamme. Der Mann aus dem Video muss sie ausblasen. Als ich denke, das dieses seltsame Feuerritual vorbei ist, greift er nochmals zum Feuerzeug, doch diesmal nimmt er die Zigarre in den Mund und zieht kräftig daran, während er seinen Schweißbrenner auf das (Wald)Brandende richtet.

Einzelfall vs. gängige Praxis

Mich geht es nichts an, wie jemand seine Zigarre genießt, vollkommen richtig. Jedoch, ist es in diesem Fall schlicht und ergeifend nicht möglich etwas zu genießen. Wer sich einmal die Mühe machen will, soll das oben genannte Verhalten nachahmen, während man eine zweite Zigarre „herkömmlich“ und sanft dem Feuer übergibt. Der Unterschied ist frappierend. Diese Zigarre weißt dann nämlich keinen anderen Geschmack als Kohle, Asche, Rauch und die Bitterkeit in Person auf. Es ist nicht mehr möglich etwas anderes als „Waldbrand“ zu schmecken, wenn ich mir das Brandende durch die gesamte Zigarre, bis zum Kopf hinauf durch ziehe.

Als ich dieses Video sah, dachte ich mir noch, dass das sicher ein Einzelfall ist. Weit gefehlt. Nach zirka 15 weiteren Videos von anderen Menschen, sehe ich Ähnliches. Sie nehmen alle ihre Feuerzeuge und ziehen an ihren Zigarren was das Zeug hält.

Das „richtige“ anzünden

Mir ist vollkommen klar, dass es keine „richtige“ Art gibt sich eine Zigarre zu entflammen. Aber egal, wo man nachliest, nachschaut oder selbst erfährt, man kann sich darauf einigen, dass man diesen Vorgang mit entsprechender Vorsicht ausführt. Man kann durchaus eine Zigarre auch im Mund haben, um sie endgültig zu entflammen, jedoch sollte der Zug, den man ausübt sanft vollführt werden. Ein Freund meinte mal, es wäre wie der erste Kuss, sanft und vorsichtig, um dem Moment das nötige Gewicht zu verleihen. Ich fand das eine treffende Formulierung.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass viele Menschen es gar nicht erwarten können ihre Meinung in die Welt hinaus zu posaunen, vollkommen im Wissen, dass es ihnen eigentlich an Erfahrung, an Talent, oder an der nötigen Ausdrucksweise fehlt. Im Grunde ist es gar kein Problem, wenn Anfänger Reviews schreiben, denn Erfahrungsberichte von einem Anfänger sind genauso informativ, wie die von denen, die schon länger dabei sind, solange diese Reviews auch aus der Sicht des Anfängers verfasst sind. Wir alle stellen uns scheinbar immer größer da, als wir sind, das liegt wohl am Geist der Zeit, jedoch sollten wir das schleunigst überdenken. Zigarrenrauchen kann eine wunderbare Sache sein, doch mit Stress und Eile, ist dieser Genuss nicht vereinbar. Neulich bekam ich eine Nachricht auf Facebook, betreffend der Lagerzeit von kubanischen Zigarren. Die klare Aussage: „Ich habe keine Lust drei Jahre zu warten, um eine kubanische Zigarre genießen zu können. Das muss doch schneller gehen!“ (Keine Sorge, ich hab den betreffenden Herr gefragt, ob ich ihn zitieren darf)

Die Zigarre und die Zeit

Der oben genante Satz trifft es auf den Punkt. Es gibt nur ein Ausschlusskriterium vom Zigarrenrauchen, die Hast.
Genuss hat nichts mit Eile zu tun und wer das nicht akzeptiert, der hat meiner Meinung nach, hinter einer Zigarre nichts verloren. Wer Zigarren nicht die nötige Zeit gibt, der hat sie nicht verdient, beziehungsweise soll er sich nicht darüber aufregen, dass er nicht das volle Geschmacksspektrum erlebt. Ende der Geschichte. Und dann – und ich weiß, dass ist zu viel verlangt – soll er bitte nicht anfangen den Leuten etwas über den Geschmack einer Zigarre zu erzählen.

Ich weiß, auch ich erzähle den Leuten etwas vom Geschmack einer Zigarre, doch ich stehe zu meiner Meinung. Wenn ich eine Zigarre lobe, dann finde ich sie tatsächlich so gut. Wenn ich vom Geschmack schreibe, dann habe ich das im Moment tatsächlich so empfunden. Ich bin weder ein Experte, noch besonders belesen und gebildet in Sachen Zigarre. Ich maße mir allerdings schon an Eines zu sein: Ehrlich. Ich bin jederzeit bereit zuzugeben, dass ich etwas nicht weiß, oder dass ich mich geirrt habe. Es macht für mich keinen Sinn Menschen etwas vorzulügen.

Ich schreibe über die Welt der Zigarre, weil ich diese Genussform sehr schätze und sie mir tatsächlich sehr ans Herz gewachsen ist. Vielleicht reagiere ich deshalb so aufgebracht, wenn jemand eine Trinidad Vigia abfackelt, als wäre es ein Stück Holz.

In diesem Sinne: Happy Smoking!

 

 

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